Die Tretmühlen der Landwirtschaft – Wie kommt die CH-Landwirtschaft zu mehr Wertschöpfung?


Wie zahlreich sind doch die Dinge, derer ich nicht bedarf.  (Sokrates, um 470 - 399 v.Chr., griech. Philosoph )

 

2019 wären wohl noch einige Dinge, derer Sokrates nicht bedarf, hinzugekommen. Aber an einem Dinge hat sich nichts geändert: Die Nahrung und somit die Landwirtschaft ist bis heute unverzichtbar. Die Frage, die sich jedoch stellt, ist: Wie und wo soll Landwirtschaft betrieben werden?

Sollen wir den freien Markt spielen lassen, Zölle abbauen und Nahrungsmittel nur noch in den Weltregionen anbauen lassen, wo diese am kostengünstigsten produziert werden können – und uns in der Schweiz stattdessen im Rahmen von Freihandelsabkommen (welchen die Landwirtschaft im Wege steht) auf die Pharmaindustrie oder Finanzdienstleistungen konzentrieren – wo die Wertschöpfung um ein Zehnfaches höher liegt? Oder ganz einfach auf Kaffee statt Milch – was müde Bauern mindestens so munter machen würde? Obwohl in der Schweiz keine einzige Kaffeebohne produziert wird, laufen mehr als zwei Drittel des weltweit gehandelten Rohkaffees über die Eidgenossenschaft. Der Exportwert von Kaffee ist grösser als jener von Schokolade und Käse zusammen. Auch bezüglich Kaffeevollautomaten gehören Schweizer Firmen zu den Weltmarktführern – nicht so bei den Melkroboter-Herstellern. In Sachen Bruttowertschöpfung liegt die Kaffeebranche in etwa gleichauf mit dem gesamten Primärsektor der Schweiz – ohne Subventionen.
Ist die Landwirtschaft, als Branche mit der geringsten Wertschöpfung und hohen Subventionskosten, ein alter «Butterzopf», der nur noch der Pflege der heimatlichen Folklore dient?

Eine Erhebung von GFS-Zürich zeigt, dass auch 2018 drei Viertel der Schweizer Bevölkerung nach wie vor hinter der Landwirtschaft stehen bzw. eine finanzielle Unterstützung durch den Staat begrüssen. Am meisten Zustimmung erhält jedoch die Aussage, dass die Landwirtschaftsbetriebe konkurrenzfähiger werden sollten. Während 2009 der Aussage «Landwirte sind innovativ» noch ca. 70% der Befragten zustimmten, sind es 2018 in etwa noch 57%. Nach dem 2. Weltkrieg gab die Schweizer Bevölkerung noch über 30% des Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aus. Heute werden dafür noch ca. 6.3% ausgegeben. Der durchschnittliche Sparbetrag liegt gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) bei 15.5%.

Wäre die Bevölkerung folglich bereit, Schweizer Produktionskosten angepasste Preise für Nahrungsmittel zu zahlen, wenn die Schweizer Bauern innovative heimische Produkte wie z.B. Lupinen-Kaffee anbieten würden – und würden die Bauern auch tatsächlich davon profitieren?


Nicht nur beim Schach wird der Bauer zuerst geopfert damit die Grossen noch grössere Sprünge machen können (Jürgen Köditz)

Der renommierte Wirtschaftsprofessor, Prof. Mathias Binswanger (gilt gemäss dem NZZ-Ranking 2017 als einer der einflussreichsten Wirtschaftsprofessoren der Schweiz), hat sich nach den «Tretmühlen des Glücks» (Bestseller, 2006) nun auch den Tretmühlen der Landwirtschaft angenommen. Er analysiert wissenschaftlich, warum die Schweizer Landwirtschaft trotz stetiger Produktivitätssteigerung kaum auf einen grünen Zweig kommt bzw. wo die massgeblichen Hemmnisse auf nationaler und internationaler Ebene zu verorten sind.

Textauszug aus einem Essay von M. Binswanger: Die Produktivität in der Schweizer Landwirtschaft ist gemessen am Produktionsvolumen pro Jahresarbeitseinheit von 1990 bis 2010 um etwa 40 Prozent gestiegen. Gleichzeitig sind die Preise, welche die Bauern für ihre Erzeugnisse erhielten, um etwa ein Viertel geschrumpft. Doch davon haben wir als Konsumenten gar nichts gemerkt. Gesunken sind nämlich nur die Preise, welchen den Bauern für Rohmilch, Weizen oder ein Kalb bezahlt wurde. Die von den Konsumenten im Supermarkt bezahlten Preise für Lebensmittel sind gleichzeitig um etwa 10 Prozent gestiegen und verzeichnen erst seit 2010 wieder einen leichten Rückgang. Ein hochverarbeitetes Erfolgsprodukt wie Caffè Latte von Emmi beschert den Milchbauern gerade noch etwa 5 Prozent des Verkaufserlöses. Nur schon in der Verpackung dieses Modegetränks steckt ein höherer Wertschöpfungsanteil. 


 Wie also können Schweizer Landwirte in der heutigen Marktsituation konkurrenzfähiger und innovativer werden?

 

Prof. M. Binswanger wird Ihnen an diesem Anlass die marktwirtschaftlichen Hintergründe und Tretmühlen der Schweizer Landwirtschaft aufzeigen. Im Anschluss wird Ihnen der Betriebsleiter des Brunner Eichhof (Bio-Betrieb in Aarberg-Spins) einen Einblick in die Praxis geben. Er wird zeigen, welche Wege er eingeschlagen und mit welchen Herausforderungen er zu kämpfen hat, um die marktbeherrschenden Zwischenhändler zu umgehen und die Wertschöpfung weitestgehend auf dem Betrieb zu generieren. 


Der Landwirt Stefan Brunner baut Bio-Spezialkulturen wie Quinoa, Amaranth, Emmer, Topinambur, Süsslupinen und Yacón an – um nur einige zu nennen. Das vielfältige Angebot an speziellen Kulturen hat ihm ermöglicht, ein Netzwerk in der Spitzengastronomie aufzubauen und Gastrobetriebe vom neu eröffneten Kultur Casino in Bern bis zu Restaurants in der Zürcher Löwenstrasse zu beliefern. Ein Ziel von Stefan Brunner ist es, künftig seine Produkte soweit wie möglich selbst zu veredeln und zu 100% via Direktvermarktung abzusetzen. «Der schlaue Bauer» hat mit einer auf die Gastroszene zugeschnittenen App den Digital Award 2017 gewonnen und hat einen «Jät-Ferrari» konstruiert - ein einfaches, dreirädriges Gefährt, welches das Jäten im Biolandbau massgeblich erleichtert und den Rücken entlastet. (Der Autor hat während eines landwirtschaftlichen Praktikums selbst davon profitiert). Mehr zu Stefan Brunner: www.brunnereichhof.ch oder www.vombiohof.ch